1996 fand das 1. Bierfestival, im Volksmund Biermeile genannt, auf der Karl-Marx-Allee statt. War das Fest am Anfang eher klein und freundlich, nahm es schnell an Fahrt auf, auch was die Besucherzahlen anging. Es mutierte zu einer Touristenattraktion mit mehr als 800.000 Besucher*innen. Im Jahr 2011 gab es sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde: Mit 1820 m ist es der längste Biergarten der Welt.
Siegte am Anfang die Neugier auf und die Freude über das Fest bei den Friedrichshainer*innen, dauerte es nur wenige Jahre, bis viele der Anwohner*innen am 1. Wochenende im August eher das Weite suchten oder Ihr Zuhause nicht mehr verließen. Auch die Folgeschäden (zertretene Grünflächen und verschmutzte Hinterhöfe, mit Exkrementen versiffte Hausflure inklusive schlafender oder pöbelnder Betrunkener, ..) trugen dazu bei, daß die Biermeile weniger ein nettes Familienereignis war, sondern zunehmend für Zorn sorgte.
Beginnend am Frankfurter Tor Richtung Innenstadt waren die verschiedenen Bierstände ein Anziehungspunkt nicht nur für normale Bierfans, sondern auch für Menschen rechter Gesinnung. In Gruppen zogen sie nicht nur saufend und pöbelnd über die Biermeile, sondern auch im Umfeld marodierend und Menschen jagend durch Friedrichshain. Unterstützt wurde dies auch durch Bierstände auf der Meile von Brauereien, die in der rechten Szene beliebt oder Teil dieser sind (z. B. Odin) oder von Bierständen, die von Kneipen in denen Rechte verkehren betrieben wurden (z. B. Ambrosius). An diesen Ständen sammelte sich die rechte Szene. Der Stand vom Ambrosius war direkt am Frankfurter Tor, wo sich nicht selten über 200 Neonazis sammelten. Ihre menschenfeindlichen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Sprüche auf Shirts, Hosen, Jacken oder ihre Tattoos und ihr überhebliches Auftreten in großen Gruppen wirkten nicht ohne Grund auf Besucher*Innen bedrohlich und einschüchternd. Besonders “Linke“ und “Ausländer“ konnten sich nicht normal im Kiez bewegen, da auf sie regelrechte Menschenjagden erfolgten.
Weder die Security auf der Biermeile, noch die Polizei im Umfeld reagierte adequat. Wärend sich die Welt in der Karl-Marx-Alle traf und betrank, mußsten andere um Ihre körperliche Unversehrtheit bangen oder Angst vor Vandalismus haben.
Mit der Gründung der IGR nahmen wir auch die Biermeile auf unsere Tagesordnung. Die Antif dokumentierte bereits seit vielen Jahren Neonazi-Aktivitäten auf der Biermeile.
Wir wollten nicht mehr zusehen, wie extrem Rechte und Rassisten unseren Kiez f&uum;r sich beanspruchen. Auch Besoffene sind ein Problem, da sie (soweit sie noch dazu in der Lage sind) Frauen anbaggern oder pöbeln. Viele werden im Suff auch agressiv. Besonders schlimm ist das, wenn es sich dabei um extrem rechte Besoffene handelt, die durch Kampfsportausbildung und Auftretn in Gruppen eine echte Bedrohung sind, wie sich an vielen Beispielen feststellen ließ.
Der Bezirk nahm die Probleme nicht ernst, da es eine Freude war, dieses Fest im Bezirk zu haben, wodurch auch ein wenig Geld in die leeren Kassen floß. Der Veranstalter nahm die Probleme nicht ernst, weil er sie vielleicht gar nicht bemerkte und Negativschlagzeilen schaden dem Geschäft.
Ähnlich wie bei unserem Kampf gegen den “Thor Steinar“-Laden ahnten wir nicht, was für eine Arbeit wir uns da an’s Bein gebunden haben und auf welche “Merkwürdigkeiten“ wir treffen sollten.
Dokumentation der Biermeile vor Gründung der IGR
Eigene Erfahrungen der Aktiven, die im Jahr 2006 die IGR gründeten und Berichte aus dem Kiez, waren ein Grund, sich auch dem Thema Biermeile umgehend anzunehmen. Noch bevor die IGR im Jahr 2006 mit einem Infostand auf der Biermeile vertreten war, dokumentierte die Antifa Vorfälle auf der Biermeile und in deren Umfeld. Wir wollen hier Beispiele vermitteln, die unterstreichen, wie wichtig und richtig es war, sich die Biermeile einmal genauer anzuschauen.
Im August 2020 ist der Spuk nach 23 Jahren vorbei. Auch wenn es sicher für viele Menschen viele schöne Momente gab, Anwohner*innen und wir als IGR sind nicht böse über das AUS der Biermeile, auf der sich bis zum Schluß Nazis treffen konnten. Hier findet Ihr einen guten Bericht dazu auf craft-quelle.
Alle Einträge zur Biermeile
können im Archiv unter der Kategorie Biermeile angeschaut werden. Dokumentiert wurde von 2001 bis 2019.